Gutenbergplatz, 20. März 2022
Hallo Mainz,
vielen Dank, dass ihr alle heute hier auf den Gutenbergplatz gekommen seid und wir gemeinsam und parteiübergreifend gegen den Krieg in der Ukraine demonstrieren. Für einen sofortigen Waffenstillstand! Für sofortigen Frieden! Und für eine souveräne, demokratische Ukraine!
Seit 25 Tagen führt Putin Krieg gegen die Ukraine. Seit 25 Tagen wissen über 40 Millionen Menschen nicht, ob sie noch den nächsten Morgen erleben werden. Seit 25 Tagen werden wir alle Zeuge, wie ein einzelner Aggressor die gesamte Welt mit seiner nuklearen Drohung auf die Zuschauerbank knebelt und vor unser aller Augen ein ganzes Land zerstört. Die Menschheit hat sicherheitspolitisch versagt. Und es ist Zeit, dass wir Menschen daraus lernen.
Meine Rede habe ich im Folgenden in acht Gedanken bzw. Wünsche untergliedert.
Mein erster Wunsch betrifft die nukleare Abschreckung, die sämtliche Staaten dieser Welt die Option nimmt, die Ukraine zu verteidigen. Da werden Menschen getötet und wir können es nicht verhindern, wir können reden, wir können sanktionieren, aber einschreiten, so wie es in einer Zivilgesellschaft eine ausgebildete Polizei bei einem Angriff tun würde, das können wir nicht. Nicht erst Putins Krieg, auch bereits die Wahl von Trump hat vielen von uns das Gefühl gegeben, dass Atomwaffen selbst in Demokratien nicht in sicheren Händen sind. Ich wünsche mir daher global koordinierte, konkrete, terminierte politische Maßnahmen, hin zu einer atomwaffenfreien Welt. Das mag vielen unrealistisch erscheinen. Doch unsere Geschichte zeigt uns, dass es sogar fast bereits Realität geworden wäre, als Gorbatschow, Putins Vor-Vorgänger, am 12. Oktober 1986 in Reykjavik bei einem Gipfeltreffen dem amerikanischen Präsidenten genau dies vorschlug, eine Abschaffung aller Atomwaffen innerhalb von 10 Jahren.
Mein zweiter Wunsch betrifft die kritische Betrachtung von Blockpolitik. Als kleines Kind bin ich in Lübeck am eisernen Vorhang aufgewachsen. Am Wochenende unternahm ich oft Kanuausflüge auf der Wakenitz, damals ein idyllischer Grenzfluss auf einer Seite Landwirtschaft und Demokratie, auf der anderen Seite vermientes Ufer und Ostblock. Als Schüler sah ich dann, wie die Mauer eingerissen wurde und aus dem vermienten Gebiet ein Grüngürtel durch Deutschland wurde. Der Ostblock kollabierte, der Westblock bzw. die Nato entschied sich, weiter zu bestehen und nach Osten zu expandieren. Derzeit bin ich sehr, sehr froh, dass diese östlichen Staaten unter dem Schutzschirm der Nato stehen und wir somit gemeinsam eine sehr deutliche starke, rote Linie ziehen. Und dennoch frage ich mich, ob man auf unserer globalisierten, so dermaßen stark vernetzten Erde diese Blockpolitik nicht mal konzeptionell hinterfragen sollte. Was denken Staaten, die nicht Teil des Sicherheitsblocks sind, die nicht Teil des Teams sind? Ich wünsche mir im globalen Miteinander in Zukunft mehr aufeinander Zugehen und weniger verharren in Blöcken. Warum? Halt vor allem, weil unser NATO-Block den derzeitigen Krieg nicht verhindern konnte. Wir brauchen meiner Meinung nach eine neue, eine globale Sicherheitsarchitektur, die in Zukunft adäquat reagieren kann.
Atomwaffenfreie Welt ohne Machtblöcke mit neuer, globaler Sicherheitsarchtiektur, da stellt sich nun wirklich die Frage wie soll das gehen? Den Schlüssel dazu verpacke ich als meinen dritten Wunsch, wir brauchen eine Demokratisierung der globalen politischen Ebene. Wir brauchen also eine Demokratisierung der Vereinten Nationen. Wie kann es sein, dass 141 Länder und somit 71% der Staaten in der UN Vollversammlung den Angriff auf die Ukraine verurteilen und zugleich hat diese Abstimmung nur Symbolcharakter? Keine konkreten politischen Maßnahmen folgen daraus! Vollkommen gaga! Wie kann es sein, dass im UN Sicherheitsrat der Aggressor, also das Putin-Regime, sämtliches Handeln durch sein Veto unterbinden kann? Ich wünsche mir eine Abschaffung des Weltsicherheitsrates und eine Demokratisierung der Vereinten Nationen, die dann eine globale Sicherheitsarchitektur erarbeitet, so dass nationale Armeen Schritt für Schritt abgerüstet werden. Wir brauchen eine von den Vereinten Nationen demokratisch legitimierte globale Polizei, die bei derartigen nationalen Angriffskriegen handlungsfähig eingreifen kann. Das mag wieder unrealistisch klingen und dennoch, vor einem kurzen Augenblick der Menschheitsgeschichte, zum Beispiel vor 200 Jahren, erschienen so viele menschliche Errungenschaften wie Menschenrechte und Demokratie auch völlig unrealistisch. Letztlich brauchen solche neuen Schritte den Druck von der Straße, hier, in Europa und weltweit.
Mein vierter Wunsch nähert sich nun wieder dem Hier und Jetzt und betrifft die Menschen in und aus Russland. Ich wünsche mir, dass wir weiterhin ganz klar zwischen Putin und seinem Regime auf der einen Seite und den Menschen, die in Russland leben, unterscheiden. Dass man Stars, die sich zu Putin bekennen, sanktioniert, verstehe ich. Ansonsten wünsche ich mir, dass man weiterhin Kultur, die von Menschen aus Russland geschaffen wurde, auch hier bei uns genießt und auch weiterhin mit Menschen aus Russland zusammenarbeitet. Menschen auf ihre nationale Identität zu reduzieren und sie in Kollektivverantwortung für ihre jeweilige Regierung zu nehmen, halte ich für eine stark diskriminierende, eine völlig undemokratische und sehr schädliche Perspektive.
Mein fünfter Wunsch betrifft unsere Hebel, die wir gegenüber Russland in der Hand haben und das sind derzeit vor allem wirtschaftliche. Wir müssen uns aus unserer Abhängigkeit von Putins Gas, Öl und Kohle schnellstmöglich lösen. Neben der Einsparung von Energie, an der wir uns alle direkt beteiligen können, – also Fahrrad und Bahn statt Auto, 18/19 Grad Raumtemperatur, statt 20/21 – neben diesen Einsparungen, wünsche ich mir, dass der Ausbau der Erneuerbaren Energien und Geothermie, die Dämmung von Häusern und der Einbau von Wärmepumpen jetzt im Wirtschaftsdeutschland absolute Priorität bekommen muss. Um die Freiheitsenergien schnellstmöglich auszubauen, müssen wir in der Energiewirtschaft in eine Kriegswirtschaft übergehen! Wir brauchen Nachhaltigkeitstransformation Tag und Nacht! Und mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln!
Mein sechster Wunsch gilt der Unterstützung von geflüchteten Menschen. Über 3 Millionen Menschen sind bereits aus der Ukraine geflüchtet. Und unzählige Menschen in ganz Europa organisieren sich derzeit zivil, um diesen Menschen eine gute Bleibe zu ermöglichen. Ich wünsche mir, dass diese Solidarität auch von den politischen Entscheidungsträger:innen weiterhin stark mitgetragen wird und dass an den Grenzen nicht zwischen Menschen mit ukrainischer und anderer Nationalität unterschieden wird! Menschen sind Menschen sind Menschen. Sie müssen alle die gleiche Solidarität und das gleiche Recht bekommen.
Mein siebter Wunsch richtet sich an die Regierungen dieser Welt. Bleibt standhaft in der Verteidigung von Souveränität und Demokratie! Ergreift alle erdenklichen wirtschaftlichen Maßnahmen, um Putin zum Einhalten zu bringen! Zeigt Ländern, die Putin unterstützen, eine ganz klare rote Karte und seit damit konsequent! Bleibt bei all dem selbstverständlich auch Besonnen, damit der Konflikt sich nicht noch auf weitere Länder ausbreitet. Werdet kreativ bei der diplomatischen Vermittlung. Reflektiert die Situation auch im größeren Kontext und sorgt dafür, dass dieser Krieg schnellstens beendet wird und dass ein derartiger Krieg in Zukunft verhindert werden kann!
Mein achter und letzter Wunsch richtet sich an Putin und seinen Machtapparat. Stoppen Sie diesen Krieg, hier und jetzt! Sie können mit diesem Krieg Nichts gewinnen, sie können nur noch mehr Tod und Elend bringen.
Danke, dass ihr hier seid.