Leichhof in Mainz, 06. August 2023
Gedenken an den ersten Atombombenabwurf, Hiroshima, 6. August 1945
Hallo zusammen,
Putins unvorstellbarer Angriffskrieg ist seit 529 Tagen grausame Realität, Xi Jinpings Drohungen und Manöver gegenüber Taiwan scheinen seit vielen Monaten nur den Weg der weiteren Eskalation zu kennen, die Länder der EU und die USA schotten sich an ihren Außengrenzen immer menschenverachtender, ja tödlicher, ab und in Deutschland und vielen weiteren Ländern gibt es immer mehr Menschen, die faschistisch wählen.
Wenn ich all diese Nachrichten lese, dröhnt es in meinem Kopf fast zum Bersten: In was für eine kaputte Zeit steuern wir hier gerade hinein? Militärisch eskalierend, Realitäts verweigernd, Angst getrieben. Und der eigentliche Hebel für Frieden, die Diplomatie, die Kunst und die Praxis der politischen Kommunikation, gibt sich auf ganzer Linie als hirntot!
In progressiven Podcasts, die ich eigentlich sehr gerne höre, werden seit anderthalb Jahren verstärkt ExpertInnen eingeladen, die stundenlang über Waffengattungen und die vermeintlichen Interessen der Großmächte referieren. Als ob unsere schweren Krisen allein mit der Diskussion über Waffengattungen und der Analyse der vermeintlichen Interessen der Großmächte gelöst werden könnten! Diese völlig auf der Stelle und im Kreis drehenden Debatten finde ich zum Verzweifeln!
Seit Jahren treiben mich vielmehr folgende Fragen um: Besteht nicht jede noch so große Supermacht aus Millionen von Menschen wie du und ich, Menschen, die hier auf unserem Planeten im friedlichen Miteinander ein glückliches Leben verbringen wollen? Menschen, die viel zu unterschiedliche Werte und Meinungen haben, um sich in ein plumpes nationales Kollektiv einer Großmacht pressen zu lassen? Sind Großmächte für unsere bunte und heutzutage extrem dicht vernetzte Menschheit wirklich noch das geeignetste politische Instrument, um globale Herausforderungen zu lösen?
Zurück zum russischen Angriffskrieg, den ich derzeit für die weltweit gefährlichste Aggression halte: Ja, ich habe Verständnis für die ukrainische Selbstverteidigung und ja, ich habe Verständnis für die finanzielle und materielle militärische Unterstützung der Ukraine. Mit allzu simplen Friedensappellen kann ich nichts anfangen. Und dennoch, verdammt noch mal: Diplomatie muss nicht hirntot sein! Diplomatie kann und muss mehr leisten als sich über Waffengattungen und das vermeintliche Gehabe der Großmächte zu streiten! Und wenn es die Diplomatie nicht gebacken bekommt, wieso schafft es nicht wenigstens unsere mediale Öffentlichkeit?
Hier ein paar Fragen, mit denen sich unsere Diplomatie und unsere mediale Öffentlichkeit meiner Meinung nach dringend beschäftigen sollten: Gibt es jenseits von den verhärteten Fronten auf den Schlachtfeldern gemeinsame Schnittmengen, gemeinsame Zielvorstellungen, diplomatische Brücken? Wenn sich diese diplomatischen Brücken nicht direkt in der Ukraine finden lassen, kann man sie nicht vielleicht zwischen den Großmächten, also vielleicht zunächst jenseits von der Ukraine suchen, ohne dass man dabei die Selbstbestimmung der Ukraine antastet?
Regime-Politiker aus Russland und auch Xi Jinping haben in den letzten Monaten immer wieder betont, dass in der zukünftigen Nachkriegsordnung die Weltpolitik multilateral organisiert werden muss, keine unipolare, amerikanische Dominanz. Es besteht somit von russischer und chinesischer Seite zumindest verbal das Angebot, dass die Welt nicht wie im kalten Krieg in zwei Blöcke zerfallen darf. Ob sie sich selbst daran halten, ist äußerst kritisch zu hinterfragen, klaro. Und dennoch, wieso ist der Westen so gelähmt, dass er auf genau diese Signale nicht reagiert!? Wieso nimmt er das russische und chinesische Regime hier nicht beim Wort? Da geben diese zwei diktatorischen Großmächte vor, dass sie sich auf der globalen Ebene mehr Miteinander auf Augenhöhe wünschen. Und die Demokratien in Europa und Amerika nehmen sie nicht beim Wort! Ich halte genau dies für einen der größten politischen Fehler unserer Zeit!
Nehmen wir den Wunsch nach Multilateralismus auf der globalen Ebene doch endlich ernst und denken ihn selber konsequent weiter! Brechen wir die Idee des Multilateralen immer weiter runter, dann enden wir bei: One Human, one Vote! Ein Mensch, eine Stimme! Wir brauchen also auf der globalen Ebene endlich Reformen, die die seit Jahrzehnten gelähmte UN in eine handlungsfähige globale Demokratie umbaut! Weg mit dem Weltsicherheitsrat und seiner unsäglichen Veto-Lähmung, hin zu einem zwei Kammer-System also einer Staatenkammer (sie existiert in Form der Generalversammlung der UN quasi schon) und einem noch zu schaffenden globalen Parlament mit globaler Gesetzgebungskompetenz. Darüber hinaus zeichnet sich eine föderale globale Demokratie aus, dass sie ein durchsetzungsfähige globale Justiz und globale Exekutive hat. Auf diese Weise brechen wir die weltkriegs-gefährliche Blockbildung, hier die NATO, da China/Russland, endlich auf! So schaffen wir globalen Diskurs und globale Institutionen, die globale Rechte demokratisch aushandeln und dann auch ihre Einhaltung gewähren.
Sicherlich halten viele Menschen diese globale Demokratie derzeit für realitätsfern. Das liegt unter anderem daran, dass sie auf diplomatischer Ebene und im medialen Diskurs bisher anscheinend vollständig tabuisiert wird. Diesen skeptischen Menschen will ich jedoch entgegnen, schaut in die Geschichtsbücher! Aufgrund der unbeschreiblich schlimmen Erfahrungen im Ersten Weltkrieg rauften sich einige Länder in kürzester Zeit zusammen und gründeten wenige Monate nach Ende des Ersten Weltkriegs den Völkerbund. Er hatte selbstverständlich eklatante Konstruktionsfehler und war dennoch ein unglaublich großer erster Schritt Richtung globaler Demokratie. Genau so wiederholte es sich 1945. Erst die entsetzlichen Gräueltaten des Zweiten Weltkriegs brachten unsere politischen Strukturen weltweit dazu, die Idee des globalen, demokratischen Miteinanders weiter zu vertiefen. Es entstanden die Vereinten Nationen. Sie waren und sind handlungsfähiger als der Völkerbund es jemals war und haben dennoch wiederum bis heute eklatante Konstruktionsfehler. Ich frage mich seit einigen Jahren und seitdem fast jeden Tag, müssen wir erst noch weiter global eskalieren und einen dritten Weltkrieg erleben, um dadurch zu lernen, dass wir global noch besser und menschlicher miteinander umgehen? Wie weit muss die Welt eskalieren, bis wir endlich stringente, globale, gemeinsame Lösungen diskutieren? Meiner Meinung sollte der historische Blick auf die beiden Weltkriege, den Völkerbund und die Vereinten Nationen genügen, um zu verstehen, dass wir unglaublich dringend den globalen Einigungs weiterführen und die Vereinten Nationen somit demokratisieren müssen. Genau deswegen bin ich heute hier und genau für diesen Lösungsansatz will ich heute hier werben!
Aus Zeitgründen werde ich jetzt abkürzen und weitere Argumente und Erklärungen zur globalen Demokratie weglassen. Vielleicht nur soviel in Kürze … die globale Demokratie, die mir vorschwebt, wird in der ersten Entwicklungsphase auf jeden Fall eine unvollkommene, ich nenne es eine “dreckige”, globale Demokratie sein, da sie auch auf der globalen Demokratieebene auf jeden Fall auch bestehende Diktaturen wie China und Russland vollständig integrieren muss. Und dennoch bin ich zutiefst davon überzeugt, dass diese dreckige globale Demokratie genau der Weg aus der derzeitigen geopolitischen und auch aus der Klima-, Umwelt- und Ungleichheitskrise ist. Viele Probleme unserer Zeit lassen sich nur mit starken globalen Abkommen lösen, die über demokratische, globale Institutionen ausgehandelt und überwacht werden müssen.
Gerade Deutschland wäre aus meiner Sicht als kleine Großmacht prädestiniert dafür, gemeinsam mit der Europäischen Union die globale Demokratie auf dem diplomatischen Pakett voranzutreiben. Ich habe daher letztes Jahr im Januar, genau einen Monat vor dem Beginn des russischen Angriffskriegs, unsere Außenministerin, Annalena Baerbock, angeschrieben und vehement für diese neue, meiner Meinung nach, weitsichtige und notwendige Außenpolitik geworben. Eine Antwort habe ich leider bis heute nicht bekommen.
Last but not least, wenn ihr Fragen oder Feedback habt, kommt gerne gleich bei mir vorbei. Wenn ihr zudem auch in Richtung globale Demokratie denkt, dann kommt gerne auch vorbei. Ich suche derzeit Gleich- oder Ähnlichgesinnte und würde mich gerne weiter vernetzen.
Zuletzt ein paar Worte zum ersten Atombombenabwurf, bei dem genau heute vor 78 Jahren über 70.000 Menschen innerhalb von Sekunden ermordet wurden. Ich halte es für enorm wichtig, dass wir gemeinsam eine atomwaffenfreie Welt fordern. Damit diese atomwaffenfreie Welt auch Realität werden kann, halte ich es zudem für sehr wichtig, auch einen realistischen Weg in diese atomwaffenfreie Welt aufzuzeigen. Hierbei bin ich zutiefst davon überzeugt, dass dieser Weg nur mit einer globalen Demokratie gelingen kann. Nur mit dieser globalen politischen Struktur wird es irgendwann auch so starke globale Sicherheiten und Exekutivorgane geben, dass Nationalstaaten gar nicht mehr auf die Idee kommen, kriegerische Gewalt auszuüben. Nationale Kriege, wie beispielsweise der derzeitige russische Angriffskrieg, werden dann so unrealistisch sein, wie beispielsweise heutzutage eine kriegerische Auseinandersetzung zwischen Rheinland-Pfalz und Hessen.
Ich danke euch fürs Zuhören und dass ihr heute hier seid und dass ihr den in Hiroshima und generell im Krieg getöteten Menschen gedenkt.